Ich hatte hinter den Kulissen noch eine überaus intensive, erhellende, lehrreiche und sehr freundliche Diskussion mit Matthias, deren Ergenisse ich Euch nicht vorenthalten will. Ich hoffe sehr, es ist für ihn in Ordnung, wenn ich daraus zitiere. Aber er hatte selber vorgeschlagen, ich solle mit "outen":

Du bist der alten Maschinenbauermasche auf den Leim gegangen ....
Die Animation geht nur WEIL Du Kreisboegen auf die Zykloide gelegt hast.
WEIL Du vorausgesetzt hast, das bei der Uhrwerksverzahnung, das erste Verzahnungsgesetz der Maschinenbauer tatsaechlich gilt.

Erstes verzahnungsgesetz, das fordert ein konstantes Übersetzungsverhältnis, also dass bei konstanter Winkelgeschwindigkeit des Eintriebs auch die Winkelgeschwindigkeit des Abtriebs konstant ist, also ein homokinetischer Antrieb.

Und ja, ich hatte in meiner Animation tatsächlich insofern "geschummelt", indem ich angenommen hatte, dass meine Kreisbogenapproximation dicht genug an einer mathematisch korrekten Zykloide sei, welche ja tatsächlich (wie auch die Evolvente) eine absolut gleichförmige Übertragung ermöglich. Deswegen hatte ich in der Animation das Trieb einfach mit konstanter Winkelgeschwindigkeit weitergedreht; die (minimalen) Abweichungen der Kreisbogenapproximation gingen dabei in der Strichdtärke unter. Die Folgen dieses Pfuschs bekam ich natürlich zu hören:

Leider ist es eben so, das auch das zweite Verzahnungsgesetz auch nicht gilt.
Der Traditionelle Uhrmacher hangelte sich von Zahn zu Zahn (...) und sein absoluter Horror war das auch nur irgendwo ein Zweiter Zahn greifen koennte wenn der erste noch im Eingriff ist. Das zweite Verzahnungsgesetz fordert das aber, und verlangt eine Ueberdeckung >1, der Uhmacher benoetigt aber zwingend Ueberdeckung=1.

Darum opfert der Uhrmacher auch das erste Verzahnungsgesetz d.h. er sorgt dafuer, das nach dem "Kontakt" das Trieb ein wenig schneller laeuft als es sollte, und erst nach der einer gewissen Zeit des Durchganges wieder langsamer wird, bis zu dem Moment wo es so weit hinterher troedelt, das das naechste Paar zum Eingriff kommt, da Dieses das Trieb wieder beschleunigt, nun also sofort das Trieb vom vorhergehenden Zahn abhebt.

Ich verstehe da so: Wenn zwei (oder gar mehr) Zähne im Eingriff sind, weiß man nicht, welcher von ihnen aufgrund minimalster Fertigungsungenauigkeiten gerade trägt, und ob man es gerade mit (selbstverstärkender) eingehender Reibung vor der Mittellinie oder mit schwächerer ausgehender Reibung hinter der Mittellinie zu tun hat.
Durch das oben geschilderte, gewollte leichte Vor- und Nacheilen schafft man einen definierten Übergangspunkt des Kontakts von einem Zahnpaar zum nächsten und vermeidet die erratische Varianz im Reibmoment, allerdings ersetzt man sie durch eine periodische leichte Schwankung im Abtriebsmoment aufgrund des leicht variierenden Übersetzungsverhältnisses. Die aber immer gleich und daher besser beherrschbar ist.
Wenn man es ganz geschickt macht, kann man es wohl sogar schaffen, dass das periodisch schwankende Abtriebsmoment (das kurz vor dem Ende des Zahnkontakts am stärksten ist, wenn das Trieb verlangsamt) und das ebenfalls periodisch schwankende Reibmoment (das kurz vor dem Ende des Zahnkontakts am stärksten ist, wenn die Gleitgeschwindigkeit am größten ist) sich gegenseitig weitestmöglich kompensieren.

Solchermaßen war natürlich mein Ehrgeiz geweckt.

Ich habe daher (am Beispiel meiner Triebstockverzahnung) nun die Winkelposition des Triebs nicht einfach aufgeprägt, sondern ganz korrekt aus der Berührgeometrie errechnet (wieder jede Menge Trigonometrie). Und obwohl die Unterschiede wirklich nur minimal und zumindest in dieser Auflösung hier kaum sichtbar sind:

Allein dadurch findet der erstmalige Kontakt nun tatsächlich erst an der Mittellinie statt (was leider in der Strichstärke komplett absäuft), und der Zahn verlässt den Triebstock an der Zahnspitze. Bei meinem 120er-Rad nach genau 3°, also einer Teilung. Die Überdeckung ist also tatsächlich eins.



Deutlich schöner sieht man es in dieser Graphik:
Das hier ist der Winkel, um den (pro Zahnkontakt) das Trieb gegenüber der Gleichlaufposition vor- bzw. nacheilt:



Der Wechsel findet jeweils in den Schnittpunkten der Buckel statt, wenn das Trieb noch im alten Kontakt zurückfällt (abfallende Seite des Buckels), und der neue Kontakt (ansteigende Seite des nächsten Buckels) übernimmt. Insgesamt ergibt sich damit die schwarze Einhüllende; das ist der Winkel, um den das Trieb gegenüber der theoretischen Sollposition hin- und herpendelt. Und das ergibt sich offenbar durch die von der mathematisch korrekten Zykloide minimal abweichenden Wälzkreise des Addendums ganz automatisch!

Jetzt kann man natürlich mit dem Tool wunderbar weiter herumspielen und sowohl Radius als auch Position des die Zahnspitze bildenden Wälzkreises verändern. Mir persönlich gefällt folgende Variante fast noch besser als das Original:



Der Kontaktwechsel ist immer noch eindeutig, aber die Schwankung der Triebrotation ist nochmals kleiner geworden. Wir reden hier wirklich nur von minimalen Schwankungen: 0,4° am Trieb mit 45° Teilungswinkel, das sind auf den Radius von 10 mm bezogen gerade einmal 7 Hundertstel.

Außerdem habe ich den Kontaktwechsel minimal vorverlegt; der Eintritt findet in dieser Position nur ganz kanpp vor der Mittellinie statt...



...und der Austritt hier, knapp vor der Zahnspitze, so dass diese gar nicht messerscharf zu sein braucht:



So bin ich erst einmal ganz zufrieden damit.
Ich weiß, dass der Uhrmacher gut funktionierende Erfahrungswerte und Normen für Wälzkreisradien in Abhängigkeit von der Teilung besitzt, und Matthias hatte diese in seinem Posting ja bereits genannt. Ich bin aber gar kein Uhrmacher, daher ist mir das erst einmal egal. Ich wollte einfach bloß schauen, ob man auch so eine gut funktionierende Verzahnung hinbekommt, und was die größten Einflussparameter sind. Jetzt muss ich wohl anfangen, mir Gedanken zu machen, wie ich das am besten gefertigt bekomme...

Moritz

Mir ist hier ja leider mein wahrscheinlich interessiertester und kompetentester Sparringspartner abhanden gekommen.
Aber sei's drum; ich bringe das Theam (zumindest für mich) hier vorläufig zum Abschluss:

Ich war ja so vorgegangen, dass ich aus Teilkreis und Rollkreis die Zykloide berechnet und per Augenmaß einen Näherungskreis hineingelegt hatte (siehe erstes Posting). Ab da hatten Teilkreis und Rollkreis ihre Schuldigkeit getan; die für den Eingriff relevante Kontaktgeometrie ist durch den Radius der Kopfrundung und deren Abstand zur Radachse hinreichend beschrieben. Zahnfuß, -Rücken und Zahnlücke sind ja eigentlich eh bloß Freischnitte gegen Verschmutzung und unerwünschten Kontakt; die Zahnspitze (Addendumshöhe) und damit Kopfkreis ergeben sich bei gegebener Zahndicke ganz automatisch aus der Lage des Kopfrundungs-Kreises, so dass man sich nicht mit empirischen Tabellenwerten dafür herumschlagen muss.
Lustigerweise ergibt sich auch der resultierende Teilkreis automatisch aus der mit den zwei oben genannten Werten hinreichend definierten Kontaktgeometrie.

Nun habe ich mein Modell noch um die Reibung ergänzt:



Im Bild sieht man die Lage des Kontaktpunkts und des Normal- sowie Tangential-Vektors (dünnes, schiefes rotes Kreuz).
Aus dem Antriebsmoment resultiert je nach Winkel die Normalkraft, die über den Reibwert eine Tangentialkraft erzeugt, die mit ihrem Hebelarm über das Momentengleichgewicht wiederum auf die Normalkraft rückwirkt (was etwas knifflig zu berechnen war). So erkennt man auch die Selbstverstärkung bei eingehender (stemmender) Reibung i.Ggs. zur Abschwächung bei ausgehenden (streichenden) Reibung).

Bei der Optimierung (Spielen mit Kopfrundungs-Radius und dessen Lage) hat man mehrere z.T. konkurrierende Ziele unter einen Hut zu bringen:

• Klar definierter und eindeutiger Übergang von einem Zahn zum nächsten, um gleichzeitiges Tragen zweier Zähne zu vermeiden
• Möglichst nur ausgehende Reibung
• Möglichst geringe Schwankung im Abtriebsmoment, wobei man versuchen kann, die Reibung über die Übersetzungsschwankung zu kompensieren.

Danke für die Mühe, sehr interessant.

Ja, sehr interessant. Mich wundert etwas, dass ich damals bei meinen Berechnungen (allerdings nur mit einem Zahnverhältnis) bei Normauslegung eine sehr gute Drehmomentkonstanz erhalten hatte. Aber insgesamt war mir die Reibung im Vergleich zu einer Evolventenverzahnung (mit mehr Zähnen und kleinerem Modul) zu hoch, weshalb ich das nicht weiter verfolgt habe.

LG, Willy

Scheint ein ziemlich komplexes Thema zu sein, so ganz komm ich da noch nicht mit... das man das Problem auch einfach mit einem Zwischenaufzug relativ elegant umgehen kann ist bekannt? Sonst an dieser Stelle noch mal eine interessante Konstruktion.

nachspann23.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Quelle: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden

Eingesetzt direkt am Ankerrad oder am Eingriff davor sollte doch den Großteil der Kraft-Schwankungen zuverlässig eliminieren.

Zitat von MarkoStuhr im Beitrag #20

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das man das Problem auch einfach mit einem Zwischenaufzug relativ elegant umgehen kann ist bekannt?

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• Sitzt das Remontoir in einer vorgelagerten Übersetzungsstufe (wie im verlinkten Artikel am Minutenrad) bestehen die Verzahnungsungleichförmigkeiten der nachgelagerten Stufen freilich fort.
• Bei Remontoirs, die sich in gewissen Zeitabständen zyklisch aufziehen, herrschen gewisse Momentenschwankungen durch die sich zyklisch spannende und entspannende Feder (Hookesches Gesetz). Federn mit sehr flacher Momentenkennlinie zu entwerfen ist ein Kapitel für sich; Harrison verwendete stattdessen Schraubenfedern, die über Zugbänder auf Kurvenscheiben ähnlich der bekannten Schnecke+Kette wirken. Ein nicht unbeträchtlicher Aufwand...
• Und das von Dir verlinkte Jaccard-Remontoir ist eh komisch: Zwar rückt es nahezu kontinuierlich nach, weil es durch ein Reibrad gehemmt wird. Dieses drückt aber gegen einen Schenkel des Abtriebsrads. Bei einem hohen primärseitigen Antriebsmoment bedarf es einer höheren Anpresskraft, bis der Käfig stillsteht, die voll auf die Sekundärseite durchschlägt: Also telefonieren Schwankungen des Antriebs (zumindest anteilig mit der Reibradübersetzung) auf den Abtrieb durch: Von wegen momentenkonstant...

es gibt eine gute Software, die alledings nicht ganz preiswert ist.
https://irnich.ch/software/standardsoftware/uhrenraeder.html
Ich habe die NIHS mal bei mir in Solidworks eingegeben, muss aber noch prüfen, ob wirklich alle Parameter richtig berechnet werden.

Manuel

Zitat von gima im Beitrag #22

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es gibt eine gute Software, die alledings nicht ganz preiswert ist.
https://irnich.ch/software/standardsoftware/uhrenraeder.html
Ich habe die NIHS mal bei mir in Solidworks eingegeben, muss aber noch prüfen, ob wirklich alle Parameter richtig berechnet werden.

Manuel

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Auch wenn dieser Thread inzwischen 3 Jahre alt ist, die Animationen im Orkus verschwunden sind, und mein wichtigster gedanklicher Sparringspartner nicht mehr an Bord ist, hole ich das hier noch einmal hoch:

Ich hatte jetzt die Gelegenheit, den gleichen Auslegungsfall (Triebstockverzahnung 120/8 mit drehbaren Triebstöcken à la Harrison) mit einem Mehrkörpersimulationsprogramm inklusive Kontaktvorgangs-Berechnung zu wiederholen. Es kommen zwar exakt die gleichen Ergebnisse dabei heraus wie bei meiner damaligen zusammengespfuschten hemdsärmeligen Excel-Berechnung, aber die Auswerte-Möglichkeiten und die Animationen sind natürlich schöner.

Super Artikel, die technischen Zusammenhänge sind sehr verständlich aufgearbeitet und dargestellt.
In den alten Forenbeiträgen hatte ich ja schon viel gesucht und herumgestöbert, aber diesen Artikel nicht gefunden. Ich frage mich, wieviel da noch in den alten Beiträgen an Wissens- Schätzen vergraben ist.

Grüße

Michael

Schöne Animation. Danke.