Lebe Freunde,
berichte mal von Berufen, die (fast) keiner mehr kennt.
Und ihr liebe Uhrmacher lasst euch nicht in‘s Bockshorn jagen, euch braucht man ja zum „Batteriewechsel“! (Ironie aus) Denn irgendwann ist sie fällig. Komme später noch auf euch zurück.

Ich bin ja im Münchner Westend aufgewachsen, Jahrgang 1940, und erzähle da mal was es an (wichtigen) Handwerkern gab, wobei ich die für den Grundbedarf des täglichen Lebens aussparen möchte.
Der wohl wichtigste, der Schuhmacher! Fast niemand hatte zu dieser (Nachkriegszeit) Zeit Geld für neue Schuhe, außerdem gab es sie nur auf Bezugsscheine. Nur ein Beispiel, ich musste mit den Schuhen meiner Mutter zur Schule gehen, sonst barfuß bis in den Spätherbst. Also lies man seine Schuhe „doppeln“, das heißt mit neuen (Gummi) Sohlen versehen, Absätze richten, Eisen darauf machen, u.s.w. Ich darf sagen, der wohl wichtigste Handwerker zu dieser Zeit war der Schuhmacher. Wann begann sein Niedergang? Mit den Kreppsohlen, dieses verfluchte Zeugs, dass sich am PVC-Boden ständig statisch auflud, ich traute mir keine Türklinke mehr in die Hand zu nehmen!
Wer kam als nächster? Nehmen wir den Sattler, mit Pferdesättel hatte der bestimmt nichts im Sinn, sondern unsere Schulranzen, überschwemmt und überbelastet von den ganzen Bücherkram, waren ständig reparaturanfällig! Handtaschen, Gürtel, u.s.w. waren sein Hauptarbeitsgebiet.
Das ausgelatschte Diwan, Sofa, Ottomane, oder wie auch immer genannt, das nahm der Polsterer in Empfang, dreijährige Ausbildung, gibt es heute (fast) noch.
Weiter, der Tapezierer, der Bodenleger, was kannte man damals? Linoleum und Stragula vorwiegend, Parkett nur für Reiche, Stragula für die ärmeren Schichten des Volkes, wie in unserer Familie. Es war eine Linoleum Imitation, bestehend aus Bitumenpappe mit Mustern bedruckt. Das wurde vom Bodenverleger bearbeitet, und musste nach einiger Zeit nachbearbeitet werden, da es sich gewaltig ausdehnte.

Jetzt komme ich noch zum Gürtler, denn mein bester Freund hatte eine Gürtlerei, besser gesagt heutzutage „Antik-Beschläge“. Die einzige in ganz Süddeutschland. Seine Kunden waren Kirchen, Klöster, Schlösser und Museen.
Zeige hier mal ein paar Bilder seiner Werkstätte, im ersten ist er links zu sehen, das letzte Bild ist ein Beschlag aus seiner Fertigung. Der bayrische Rundfunk, kurz BRD genannt, war Stammkunde bei ihm, in der Sendereihe „Ausgefallene Berufe“.

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Jetzt beim „Gürtler“ möchte ich noch ein bisschen länger verweilen, hat er doch in der Metallverarbeitung manche Ähnlichkeit mit den Uhrmacher.
Im Mittelalter war er für Rüstung von Pferd und Reiter zuständig, Bestecke, Leuchten aus Metall, Gefäße aus den verschiedensten Metallen, teilweise auch heute noch. Für die Fertigung wird Eisen, Kupfer, Messing und Silber (Kerzenleuchter) verarbeitet. Die Tätigkeit besteht aus Metalltreiben, Ziselieren, ausrichten montieren, Feilen, Sägen, fräsen, drehen, bohren, hart und weichlöten, schleifen, polieren, Metall färben, das Galvanisieren überließ er da den einschlägigen Betrieben. Wir hatten mitten in München eine! Heute undenkbar! Was geschieht dort? Verchromen, verzinken, verkupfern und vergolden. Über das „feuervergolden“ mal getrennt ein eigen Thread, wenn er nicht schon irgendwo da ist?


So, und jetzt but not least, zu den Uhrmachern. Beziehungsweise Uhrengeschäften. Zuerst gleich ein Bild von einer Rechnung

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Wie zu sehen ist, das Logo der Firma Scheuring in München. Die größte Uhrenkette von Fachgeschäften, teilweise an den exponiertesten Plätzen in München. Wo sind sie heute? Nichts mehr da!
Uhren Hauser, Uhren Sonntag, und so viele andere, teilweise so groß wie Kaufhäuser! Wisst ihr eine Antwort? Ist es die Quarzuhr, ist diese Schuld? Nur mehr Batteriewechsel! Ist die fast nicht mehr bezahlbare Ladenmiete in den Innenstädten schuld? Ich habe mal die Frage im Internet eingegeben: Wo sind die Uhrengeschäfte geblieben? Was bekomme ich zur Antwort? Rolex ist ausverkauft! Ich kapituliere! Schon der Name…..
Bloß noch soviel, wir hatten vor Jahren unzählige Uhrengeschäfte und Uhrmacher damit verbunden, fast an jeder Ecke einen. Wenige sind noch da, bei diesen hast du Wartezeiten teilweise bis zu Monaten, so überlastet sind die! Reparatur von Großuhren, kann man vergessen. Die Quintessenz daraus, reparaturbedürftige Uhren gibt es zur Genüge, bloß wohin damit?
Ich mache an dieser Stelle Schluss. Wäre ich doch Uhrmacher geworden!! Bloß zu meiner Zeit gab es so viele davon, dass sie sich gegenseitig das Brot wegnahmen, und man hatte andere Sorgen als Uhren!

Grüße Paul

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Das letzte Uhrengeschäfte im Münchner Westend, das ich in meiner ungefähren Umgebung noch kenne.
Man beachte die große Fassadenuhr, die ist vom Vorgänger „Uhren Huber“, der Laden dreimal so groß, und neben fünf (!) Uhrengeschäften das größte. Und kein Verkauf von Zeitschriften, Flaschenbier und Lottoannahmestelle!

Zitat von grafkrokolinsky im Beitrag #1

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Die Quintessenz daraus, reparaturbedürftige Uhren gibt es zur Genüge, bloß wohin damit?

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Und selbst wenn es sich lohnen würde, die meisten "Sammler" denken sich "beim Verkauf bekomme ich das nie wieder rein". Und sind entsprechend geizig. Das, in Verbindung mit expodierten Ladenmieten, führt dazu, dass sich zunehmend "Semiprofis" im Wohnzimmer um Reparaturjobs kümmern, Bezahlung nach BAT (Bar auf Tatze) und ohne Gewährleistung. Die sind nach meiner Kenntnis sehr gut ausgelastet.

Wenn ich daran denke, wie lange ich an meinem letzten Projekt, der ziemlich gammeligen Bohmeyer Mutteruhr rumrepariert habe, da kamen Wochen zusammen. Wert der fertigen Uhr 200-300€

Und bei vielen Uhren kommen ja noch die Gehäuse dazu. An meiner englischen Standuhr habe ich einen ganzen Winter am Gehäuse verbracht. Das Gehäuse hatte den WK2 laut aufgeklebten Inventarschein in einem wahrscheinlich feuchten Depot in GB verbracht. Und die Kosten, Schellack, Fischleim, Ebenholz für Intarsien, Werkzeug um 3mm Furnierstreifen aus Ebenholz zu schneiden und entsprechende Einlegelinien auszuheben, diverse Furniere etc. Wert jetzt 500-1000€, wenn sie jemand will. Professionell gemacht hätte ich Tausende zahlen müssen.

Vielleicht sollten wir Uhrenliebhaber versuchen, die mechanische Uhr als Weltkulturerbe eintragen zu lassen :-) Dann gäbe es ev. mehr Interesse von Sammlungen und Museen.

Standuhren zu verkaufen, ein absolutes no Go! Niemand will diese (liebenswerten) Ungeheuer noch haben. Ich habe zwei, da war jedesmal der Transport teurer als die Uhr. Früher gehörten diese zum obligatorischen Wohnzimmerniveau, sowie die Schrankwand aus Eiche, spätere Jahre Teakholz.
Mal schauen, ob ich noch ein Foto zusammenbringe, geht nämlich nur von der Seite, für frontal ist der Flur zu schmal!
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Zitat von kioto im Beitrag #4

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Vielleicht sollten wir Uhrenliebhaber versuchen, die mechanische Uhr als Weltkulturerbe eintragen zu lassen :-) Dann gäbe es ev. mehr Interesse von Sammlungen und Museen.

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Zitat von kioto im Beitrag #4

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wenn sie jemand will.

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Zitat von Bernhard J im Beitrag #7

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Zitat von kioto im Beitrag #4

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wenn sie jemand will.

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Mal schüchtern die Hand hebe ....

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Oha.gif - Bild entfernt (keine Rechte)

Ich frage mich in der Tat, ob für den Uhrmacherberuf (und dergleichen) die Messe wirklich schon gelesen ist.

In einer alten Uhr/Taschenuhr befindet sich nichts, was nicht mit relativ geringem Aufwand wieder verwertbar oder abbaubar wäre. Obendrein entspricht doch die Philosophie, Dinge durch Reparatur und Wartung für den Wirtschaftskreislauf zu erhalten, anstatt ihre giftigen Komponenten auf den Müllkippen der ärmeren Länder vor sich hin kokeln zu lassen, genau der Vorstellung von einer erstrebenswerten Zukunft, die gerade wieder unter dem Label der sog. „Nachhaltigkeit“ en vogue ist. Oder?

Weshalb sollte der Beruf des Uhrmachers aussterben, wo doch ständig neue Uhren (und nicht nur Quartz aus Fernost) auf den Markt kommen.
Allein bei Lange & Söhne werden momentan 29 Uhrmacher ausgebildet. Weitere Ausbildungsplätze gibt es in Glashütte noch bei weiteren Firmen.
Also aussterben kann der Beruf nicht, wer soll die Uhren herstellen und wer soll sie später revidieren.

ABER, der Uhrmacher mit der früheren Ausbildung und seinem daran sich anschließenden Tätigkeitsumfang, der wird nahezu aussterben.
Die heutige Ausbildung setzt andere Schwerpunkte, was natürlich den heutigen Ansprüchen der überwiegend anfallenden Arbeiten entsprechen muss.
Welcher ausgelernte Uhrmacher hat in seiner Ausbildung die Reparatur einer Spindelhemmung, den Ersatz eines Cylinders usw. kennen gelernt.
Will er dies später ausführen ist Selbststudium nötig. Jedoch bezahlt ihm doch kein Kunde diese Arbeiten zum heutigen Stundensatz. Folglich bleibt er entweder in der Produktion oder im Service von den entsprechenden Marken.

Zitat von Fritz im Beitrag #11

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Folglich bleibt er entweder in der Produktion oder im Service von den entsprechenden Marken.

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Zitat von Bernhard J im Beitrag #12

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Auch bei Lange wird vermutlich nicht mehr gelehrt, wie man beispielsweise eine Spirale "abzählt", es wird einfach die komplette Unruh mit Spirale als Neuteil eingesetzt.

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Zitat von Fritz im Beitrag #13

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böswillig

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Zitat von Fritz im Beitrag #13

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Zitat von Bernhard J im Beitrag #12

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Auch bei Lange wird vermutlich nicht mehr gelehrt, wie man beispielsweise eine Spirale "abzählt", es wird einfach die komplette Unruh mit Spirale als Neuteil eingesetzt.

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Das halte ich nun aber für ein böswilliges Gerücht. So wie vor 100 Jahren wohl nicht mehr.
Heute gibt es dafür in der Fertigung andere technische Möglichkeiten und die müssen auch gelehrt und gelernt werden.
Und Endkurven biegen sich auch nicht von allein.

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