Ich möchte Euch gerne mein „Schrott-wird-flott“-Projekt, den Aufbau eines Regulators mit ¾-Sekundenpendel aus Schrott- und Resteteilen vorstellen:
Ausgangspunkt war dieses Regulatorwerk als Flohmarktfund, aus einer Kiste mit Schlachtwerken. Herstellermarke war keine zu finden (kann jemand von Euch, z.B. anhand der Form von Anker oder Ankerbrücke, die Provenienz näher eingrenzen?), aber insgesamt ist es recht hochwertig gemacht, 80 Schläge pro Minute, mit Gegengesperr und dank 40-zähnigem Steigrad echtem Sekundenzeiger. So etwas wollte ich schon immer haben, und für die Schrottkiste erschien es mir viel zu schade. Der Werkträger war zum Glück dabei, alles andere fehlte aber.
Die Ernüchterung kam daheim bei näherer Betrachtung des desolat verdreckten Werks: Was ich zunächst für schmutzige Schmiere gehalten hatte, war dicker Rost auf allen Stahlteilen, außerdem war ein Zapfen abgebrochen. Für meinen allerersten Versuch im Zapfen-Einbohren war das jedoch ein idealer Kandidat, weil es sich nur um die Welle der Sperrklinke des Gegengesperrs handelte: Auf exakten Rundlauf kommt es da gar nicht an. Mangels Drehbank wurde die auf die Seite gelegte Standbohrmaschine dazu missbraucht, ein Pfusch, der letztlich erstaunlich gut funktionierte.
Alle Stahlteile wurde nach ausgiebigem Bad in Cola mit dem Glasfaserpinsel entrostet, die Schrauben auf der Herdplatte neu gebläut. Zapfen und Triebe waren vom Rost glücklicherweise kaum befallen. Die Ankerpaletten habe ich auf einem Arkansasstein nachgeschliffen und anschließend poliert. Die Hemmung wurde epilamisiert.
Neuteile waren die Seilrolle, Verschleißteile wie Pendelfeder und Darmsaite (alles Selva), die Zeiger (Bergeon) und Zeigerfutter, die passend zurechtgefeilt und vernietet werden mussten.
Ein (fast) genau passendes, sehr schönes ¾-Sekunden-Pendel lief mir für wenig Geld auf ebay zu, es musste nur der Schlitz ein Stück nach unten versetzt und verengt werden. Auch das Gewicht ist ein ebay-Fang, das auf die benötigte Masse einfach abgeschnitten und aufpoliert wurde.
Jetzt fehlte noch das Zifferblatt. Ein altes Blatt mit genau passendem Abstand der Zeigerwellen zu finden wäre aussichtslos gewesen, also musste ich bastlerisch tätig werden: Ein Stück Neusilberblech wurde mit Asphaltlack überzogen und die Zeichnung wie bei einer Acquaforte-Radierung mehr oder weniger frei Hand mit einer Reißnadel eingeritzt. Anschließend wurde es in Eisen-III-Chlorid geätzt und mit schwarzem Schellack ausgelegt. Mir ist klar, dass ich damit nie die Präzision eines Computerdrucks oder einer Lasergravur würde erreichen können, aber das wollte ich auch gar nicht: Ich hätte zwar Zugang zu CNC-Fräsen und Laserplottern gehabt, aber ich wollte ganz bewusst nur alte Techniken einsetzen, und ich finde das Ergebnis mit seinen Unvollkommenheiten irgendwie lebendiger als eine sterile Computergravur.
Der Zifferblattreif kommt aus der Bastelkiste, die Zifferblattfüße mussten (mit der Feile wiederum auf der Standbohrmaschine…) aus Rundmessing passend gedrechselt werden.
Zum Abschluss wurde noch ein möglichst schlichtes, minimalistisches Gehäuse aus Holzleisten ihr hauteng auf den Leib geschnittent. Ich wollte es gerne hell und freundlich haben, gewissermaßen in Umkehrung des alten Wiener Stils mit dunklem Holz und hellen Kanten. Außerdem liebe ich diesen warmen, goldenen Schellack-Ton. Und so sieht das Ergebnis nun aus:
Ich als einfacher Hobbypfuscher bin sehr froh, dem Uhrwerk durch meine Bastelei ein zweites Leben ermöglicht zu haben. Die Uhr hängt nun in meinem Arbeitszimmer, läuft sehr zufriedenstellend, und ich freue mich jedes Mal, wenn ich sie sehe.
Hallo Moritz, super! Ganz tolles Ergebnis! Und Du hast eindeutig bewiesen das es nicht auf die Ausrüstung, sondern auf den Menschen ankommt der diese benutzt. Respekt!
Nach einem ersten inneren Aufschrei, als ich bei Cola und liegender Bohrmaschine angekommen war, gebe ich zu, dass mir das Ergebnis gefällt. Kannst Du noch etwas zum Gehäuse schreiben? Welche Holzart?
Das sind einfachste Kierfernholzleisten aus dem Baumarkt, zusammengeleimt und -gedübelt und mit Schellack angestrichen. Die Leistchen, die die Scheiben halten, wurden zuvor dunkel gebeizt. Die Rückwand ist aus 15mm Birken-Multiplex. Alles nix Besonderes, aber mir genügt es so.
Alle Achtung, ist wirklich ganz toll gelungen! Gerade mit "einfachen" Fertigungsmethoden so etwas zu erstellen beeindruckt mich am meisten. Sag, hast du dir die Verglasung zuschneiden lassen oder das womöglich auch noch selber aus alten Fenstern vom Abbruch raus geschnitten?
Zitat von Bierjunge im Beitrag #12Nein, Glas schneiden kann ich zwar, aber so große Scheiben hatte ich nicht da. Drum habe ich das dann den Glaser um die Ecke machen lassen.
Moritz
also, ich kann auch Glas schneiden und habe mir tatsächlich mal für solche Zwecke vom Abbruch (heute heißt es ja historische Baustoffe) alte Fenster geholt die eben noch das Glas hatten das nicht vollkommen korrekt glatt und blasenfrei ist. Aber auch das ist schon eine ganze Weile her...
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18.03.2021 09:41 (zuletzt bearbeitet: 18.03.2021 09:50)
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