Trieb für eine englische Standuhr aus dem 18. Jahrhundert herstellen

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#1 | Trieb für eine englische Standuhr aus dem 18. Jahrhundert herstellen datum

17.11.2019 18:46

Hallo Zusammen,

heute möchte ich von der Herstellung eines Triebes berichten.

Das Windfangtrieb einer Standuhr aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigte sehr starke Verschleißspuren, daher entschied ich mich dafür, es neu anzufertigen.

Verzahnungen bei derart alten Uhren sind natürlich nicht genormt. Daher suchte ich mir einen nach Lichtspalt best passendsten Fräser aus meiner Wühlkiste.

Als Material für das Trieb benutze ich ETG100, einen vorvergüteten Stahl, der bereits eine gewisse Härte besitzt.

Verzahnt wird mit der Habegger 102, die nahezu baugleich mit der Schaublin 102 ist.

Nachdem der Fräser auf Mitte ausgerichtet ist gehts los:

Nachdem die Triebverzahnung fertig ist wird das Trieb eingedreht, die Schaublin Spannzangen garantieren einen völlig ausreichenden Rundlauf, man muss Triebe nicht zwangsläufig zwischen Spitzen eindrehen.

Mit dem normalen Seitendrehmeißel kann man nur auf der einen Seite des Triebes eine scharfe Kante andrehen, daher nutze ich einen zweiten spiegelverkehrten für die Gegenseite.
Um keinen Absatz in der Fläche zu haben, tuschiere ich das mit dem spiegelverkehrten Meißel gedrehte Stück mit rotem Edding, dann kratze ich mit dem "normalen" Drehmeißel an, sodass ich nur den Edding aber noch kein Material abnehme, mit der Einstellung drehe ich dann die komplette Welle ab und habe so eine gleichmäßige Oberfläche.

Eine Seite ist schonmal fertig.

Nun brauche ich noch einen T-förmigen Drehmeißel, um den Einstich für die Nut, in der der Windfang geführt wird, zu machen.

Dann wird der zweite Zapfen an die Welle angedreht, die Fase drehe ich mit dem Handstichel auch gleich an, aus Bequemlichkeit nutze ich für so Kleinigkeiten gerne den Drehmeißel als Handstichelauflage.

Dann kommt noch die Arondierung:

Und das Rollieren der Zapfen mithilfe des Rollimat. Um die dünne Welle richtig halten zu können, klemme ich ein Drehherz auf diese.

Dann ist das Trieb fertig, zuletzt folgt noch die Endkontrolle im Eingriffszirkel:

Ich habe bewusst darauf verzichtet das Trieb zu härten, da das alte Trieb auch nicht übermäßig hart war und der ETG100 ja bereits vorvergütet ist.

Gruß
Oliver

https://www.uhrmacher-buch.de/

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#2 | RE: Trieb für eine englische Standuhr aus dem 18. Jahrhundert herstellen datum

17.11.2019 19:37

Saubere Arbeit. Wer kann, der kann.

Grüße
Norbert

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#3 | RE: Trieb für eine englische Standuhr aus dem 18. Jahrhundert herstellen datum

17.11.2019 20:06 (zuletzt bearbeitet: 17.11.2019 20:16)

Hallo Oliver

Gelernt ist gelernt , danke für Deinen tollen Bericht.

Giacumin würde sich über Eure Arbeiten freuen, er sollte Euch unbedingt mal besuchen, der steckt aber aktuell bestimmt im Schnee fest!

Lieber Gruss aus der Schweiz

Ralf

Es gibt Dinge die wir lernen müssen bevor wir sie tun können
und wir lernen sie indem wir sie tun

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#4 | RE: Trieb für eine englische Standuhr aus dem 18. Jahrhundert herstellen datum

17.11.2019 20:48

Ja, wer dann die bestpassenden Fräser hat! Bei mir sind nur so einige Größen.

Toller Bericht, und der Windfang wird dann nicht mehr so einen Lärm machen.

Frank

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#5 | RE: Trieb für eine englische Standuhr aus dem 18. Jahrhundert herstellen datum

18.11.2019 08:35

Hallo Oliver,

danke für deinen Bericht. Besonders gut hat mir der ausführliche Ablauf, dokumentiert mit aussagekräftigen Bildern gefallen. Das einzige was mir noch fehlt sind die Angaben zur Drehzahl beim Verzahnen und die Zustellung pro Durchgang. Dann hat man wenn man so etwas auch probieren möchte einen Anhaltspunkt.

Super Arbeit und super Doku, danke
Dieter

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#6 | RE: Trieb für eine englische Standuhr aus dem 18. Jahrhundert herstellen datum

18.11.2019 10:29

Eine echt schöne, klassische Handarbeit - vielen Dank für's Zeigen!

Was mich wundert ist, wie sehr doch ein Messing-Rädchen einen Stahl-Trieb verhunzen kann.

Viele Gr��e

Michael

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#7 | RE: Trieb für eine englische Standuhr aus dem 18. Jahrhundert herstellen datum

18.11.2019 15:46

Hallo Zusammen,

freut mich, dass euch mein kleiner Bericht gefällt.

@teslak ,
Hallo Dieter,
ich habe mich bei der Drehzahl an der Empfehlung von PP Thornton orientiert ( 230-270 U/min), das dürfte auch der langsamsten Drehzahl am Schaublin Höhensupport ziemlich genau entsprechen. Zum Schmieren nutze ich BAER Hochleistungsschneidpaste (https://baer.tools/de/gewindeschneider/g...te-100-ml?c=413) und stelle pro Durchgang 0,2mm in der Tiefe zu.

Gruß
Oliver

https://www.uhrmacher-buch.de/

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#8 | RE: Trieb für eine englische Standuhr aus dem 18. Jahrhundert herstellen datum

18.11.2019 16:43

Hallo Oliver,

danke für die Informationen. Die Schneidpaste werde ich mir auch besorgen und testen.

Gruß,
Dieter

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#9 | RE: Trieb für eine englische Standuhr aus dem 18. Jahrhundert herstellen datum

19.11.2019 20:25

Zitat von Comtoiseschmied im Beitrag #1
Ich habe bewusst darauf verzichtet das Trieb zu härten, da das alte Trieb auch nicht übermäßig hart war und der ETG100 ja bereits vorvergütet ist.

Naja, dann ist das neue Trieb auch nicht besser als das alte und wird wieder verschleißen. Ich weiß zwar, dass beim Restaurieren möglichst wenig verändert werden soll, doch in dem Fall darf der damalige Fehler IMHO ausgebügelt werden.

Es ist schon faszinierend zu sehen, mit was für merkwürdigen Zahnformen früher Uhren gebaut wurden, die dann offenbar sogar recht lange gelaufen sind :-)

LG, Willy

______________________________
http://www.dr-henschke.de/Pendeluhr-Harrison.html

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#10 | RE: Trieb für eine englische Standuhr aus dem 18. Jahrhundert herstellen datum

19.11.2019 20:56

Hallo Willy,
Hat der Verschleiß der Triebe wirklich so viel mit der Härte zu tun? Wenn ich sehe, dass wie sich die feinen Spitzen (Messing!) eines Graham Ganges im Laufe der Zeit in die gehärteten Paletten eingraben haben, so liegt das doch eher am Schmutz und Staub (feinste Quarz Partikel). Da hilft auch keine Super Härtung. Wenn die Uhr weiter gepflegt wird, hält das sicher die nächsten 100 Jahre.

Just My 2 Cents, Werner

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#11 | RE: Trieb für eine englische Standuhr aus dem 18. Jahrhundert herstellen datum

20.11.2019 09:14

Zitat von Willy im Beitrag #9
Zitat von Comtoiseschmied im Beitrag #1
Ich habe bewusst darauf verzichtet das Trieb zu härten, da das alte Trieb auch nicht übermäßig hart war und der ETG100 ja bereits vorvergütet ist.

Naja, dann ist das neue Trieb auch nicht besser als das alte und wird wieder verschleißen. Ich weiß zwar, dass beim Restaurieren möglichst wenig verändert werden soll, doch in dem Fall darf der damalige Fehler IMHO ausgebügelt werden.

Es ist schon faszinierend zu sehen, mit was für merkwürdigen Zahnformen früher Uhren gebaut wurden, die dann offenbar sogar recht lange gelaufen sind :-)

LG, Willy

Richtig, beim Restaurieren soll möglichst wenig verändert, bzw überhaupt kein Eingriff in die Objektgeschichte vorgenommen werden. Nun ist es aber so, dass ich das ganze beruflich mache und kein Museum bin, Kunden bezahlen mir Geld für funktionierende Uhren, aber nicht für konservierte, stehende Uhren.
Daher ist es leider ab und an auch nötig originale Teile auszutauschen wie hier eben das Trieb. Dennoch gilt weiterhin das Credo keine Verbesserungen vorzunehmen, sonst könnte ich ja mit deinem Argument auch die rückführende Hemmung auf eine ruhende Hemmung umbauen, um den damaligen "Fehler auszubügeln". Aber genau das ist eben nicht Sinn und Zweck bei alten Uhren.
Und dass das neue Trieb wieder verschleißen wird, ja, klar. Nichts hält ewig, aber das alte Trieb hat um die 270 Jahre gehalten, das geht weeeit über meine Garantiezeit hinaus.

Ansonsten stimme ich Werner zu, dass da noch andere Faktoren, außer der Härte, mit reinspielen. Vor allen Dingen eben Staub, Schmutz und Öl in der Triebverzahnung.

https://www.uhrmacher-buch.de/

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#12 | RE: Trieb für eine englische Standuhr aus dem 18. Jahrhundert herstellen datum

20.11.2019 09:42 (zuletzt bearbeitet: 20.11.2019 09:49)

Hallo Willy,

Oliver hat ja geschrieben, dass es sich bei den Stahl um einen vorvergüteten ETG100 handelt. Das bedeutet, dass der Stahl durch die Vergütung (Glühen und anlassen) schon seine Festigkeit mitbekommen hat, so dass eine weitere Wärmebehandlung nicht nötig ist. Der ETG100 hat im vergüteten Zustand bereits eine Zugfestigkeit von 960 bis 1100N/mm². Die Härte gemessen in HRC beträgt auch noch 32, was in etwa einer Brinellhärte von 320HB entspricht.

Ich gebe dir Recht, wenn man als Vergleich den "Silberstahl" den 1.2210 zum Vergleich heranzieht. Wird dieser Stahl gehärtet und blau angelassen, so hat er danach eine Härte von 57HRC was rund 600HB entspricht. Die Härte ist als doppelt so groß. Wie aber Werner auch richtig angeführt hat, kann Staub, Schmutz und andere Partikel, eingebettet in einen Gummi-Ring, sich in kürzester Zeit in eine "glasharte Welle" millimeterweise einarbeiten, was ich schon häufig bei Pumpen gesehen habe.

Wenn man die Zerspanbarkeit der beiden aufgeführten Stähle betrachtet, würde ich selber den ETG 100 den Vorzug geben. Er lässt sich auf unseren kleinen Maschinen sehr viel besser zerspanen als der Silberstahl. Ein weiteres Übel des Silberstahls ist, dass es sich sehr gerne beim Härten verzieht. Wenn ich unbedingt eine glasharte Oberfläche auf den ETG100 haben möchte, kann man das komplett fertig bearbeitete Werkstück in eine Härterei geben und es Plasma-Nitrieren lassen. Das geschieht bei relativ niedriger Temperatur (450°C) und es gibt dabei kein Verziehen.

Ich habe für meine Uhr die Triebe komplett fertig bearbeitet und danach zum Plasma Nitrieren gegeben. Nach Entfernen der "gräulichen Färbung an der Oberfläche konnten die Wellbäume ohne weitere Arbeiten eingebaut werden. Aber heute würde ich den Aufwand nicht mehr machen und den ETG 100 direkt einsetzen.

Für mich selber ist der ETG zum idealen Stahl geworden. Leider werden wir nicht so alt, dass wir den Unterschied in der Langlebigkeit der beiden Varianten (gehärtet vs. ETG) erleben können.

Ich will auf keinen Fall irgend jemanden von seiner Stahl-Philosophie abbringen, sondern erzähle nur von meinen gemachten Erfahrungen.

Viele Grüße,
Dieter

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