meine neueste Errungenschaft habe ich auf einem südfranzösischen Flohmarkt für sage und schreibe 17 Euro gekauft. Sie ist/war allerdings reichlich ramponiert und vergammelt bis verhunzt, jedoch bis auf die kaputten Zeiger und die Seitentüren vollständig. Zu Zifferblatt und Front-Zierblech schaut bitte auf die Bilder (rechts). Zur Technik: Das Werk hat eine Spindelhemmung, das Faltpendel mit 130 mm Messinglinse ist in einem Häuschen an einem Faden aufgehängt und schlägt am hinteren Rand des Gehäuses (Hinterpendel), die Schlagwerkauslösung ist federbelastet, es schlägt die halbe Stunde en passant und die volle Stunde mit Repetition auf eine Bronzeglocke. Das zweiteilig Zierblech ist oben in der Palmette mit einer kleinen Schraube an einer Metallstütze auf dem Gehäusedach und mit zwei kleinen Messingschrauben unten am Trägerblech verschraubt, dieses mit zwei Eisenschrauben am Trägerblech. Alles passt perfekt zusammen, alle Schrauben sind alte Zollschrauben, es gibt keine überflüssigen Löcher, und so gehe ich von einem Original einer Comtoise mit zweigeteiltem Frontblech aus der Zeit um 1820 aus. Nach vielen Tagen und Stunden Arbeit läuft und schlägt sie stabil. Echte Probleme hatte mir nur das Schlagwerk gemacht, es lief, aber es repetierte nicht, weil – wie sich herausstellte – irgendjemand den Auslöshebel so stark verbogen hatte, dass die zweite Zinke der Gabel funktionslos in der Luft hing. Bis ich hinter das Problem gekommen war, dauerte es etwas, aber nun habe ich die Funktion des Schlagwerks begriffen. Die Reparaturstelle im Zifferblatt sieht auf dem Foto sehr gelb aus, das ist aber unter normalem Licht kaum zu sehen, vielleicht gehe ich hier nochmal dran. Die Hemmung läuft etwas ungleichmäßig, das Tick-Tack ist nicht bei allen Zähnen gleichgetaktet, ein kleines Stolpern ist bei jeder Umdrehung wahr zu nehmen, ich denke, die Zähne sind nicht mehr alle gleichhoch. Die generelle Funktion ist aber dadurch nicht gestört, möglicherweise hat das auf die Ganggenauigkeit Einfluss, das muss ich noch im Laufe der Zeit feststellen. Was mir fehlt, sind die Zeiger. Ich gehe sicher davon aus, dass diese Uhr Sonnenzeiger aus Messing hatte und auch wieder bekommen muss. Ich fände einen Tipp hilfreich, wo man die herbekommt, oder vielleicht hat ja jemand welche über. Ein weiteres Problem gibt es noch, dessen Ursache mir schleierhaft ist. Wenn ich die Uhr akkurat mit der Wasserwaage gerade ausrichte, schleifen beide Seile an den Rändern der Durchführungen in Gehäuseboden. Ich kann nirgendwo erkennen, dass hier nicht zusammengehörige Teile verbaut worden sind. Aber wo kommt das dann her? Hat da jemand eine Idee? Ich zögere, die Durchführungen einfach um mehrere Millimeter breiter zu feilen.
mit uhrigen Grüßen - Thomas|addpics|r40-1-5d53.jpg,r40-2-af6a.jpg|/addpics|
Hallo, in der Datierung um 1820 bin ich bei dir, würde sogar noch etwas früher datieren auf Grund des Hinterpendels. Nun, verbogene Auslösegestänge für den Gong habe ich auch schon erlebt. Die Leute hatten einfach genug vom "normalen" Gebimmel und wollten nicht auch noch ein Wiederholung hören (meine Vermutung).
Mit Sonnenzeigern liegst du ebenfalls richtig. Nur um etwas passendes zu finden wäre der Abstand Zeigerloch zum äußeren Minutenring relevant. Da das sicher nicht deine erste Comtoise ist, weißt du auch das es unterschiedlich große Uhren mit den dazugehörigen Zifferblättern gab.
Zur Aufhängung mit der Wasserwaage...hm...Hänge die Uhr einfach so auf das nix schleift und scheuert, sie ein schönes Tick-Tack von sich gibt und gut ist! Da wird nix gefeilt !
Hallo Norduhr, danke für Deine Antwort. Ich freue mich über die Bestätigung der Altersschätzung. Und ja, mit dem Feilen tue ich mich auch schwer, mal sehen, wie schief sie hängt, wenn die Seile frei baumeln. Zu den Zeigern, ich habe solche typischen Sonnenzeiger (siehe Bild) als Reproduktion im e-shop von Bernd Deckert gefunden, auch die Längen der Zeiger passen gut. Kann man so etwas montieren, ohne sich zu schämen? Oder müssen "zwingend" das alte Originale sein? LG - Thomas|addpics|r40-3-a72b.jpg|/addpics|
Hallo Minzestrauch, nun, zwingend ist natürlich gar nix. Schöner wäre es, aber... Solltest du mal welche finden (in der Bucht werden ab und dann Comtoisezeiger angeboten) halte ich das für eine durchaus gelungene Übergangslösung.
Herbisius hat recht mit seinen Vorschlägen zur "vorzeitigen" Alterung. Passiert aber bei ungeschütztem Messing auch von ganz allein.
so, ich bin fertig mit der Wiederherstellung. Folgende Arbeit waren nötig, um die ca. 200 Jahre alte Comtoise wieder zum ticken, klingen und glänzen zu bringen:
• Die Schadstelle des Zifferblattes wurde repariert: Die Beule wurde herausgedrückt und das ausgebrochene Email an dieser Stelle aufgefüllt und weiß lackiert. • Auf der Rückseite des Zifferblatts wurde die an der Rückseite der früheren Beule ausgebrochene grau-krümelige Beschichtung ergänzt. • Am Umfang des Zifferblattes sind drei kleine Löcher mit ausgebrochenem Email vorhanden, die genau zu entsprechenden Löchern im Trägerblech passen. Hier wurden kupferne Stifte zum Fixieren des Zifferblattes auf dem Trägerblech eingesetzt. • Die Seitentüren wurden neu angefertigt, dem üblichen Zeitstil entsprechend genau wie die Rückwand glatt und ungeprägt, Materialstärke 0,7 mm, Schließer von La Pendule wurden hier eingebaut. • Für die fehlenden Sonnenzeiger wurden als Ersatz die als Reproduktion im online-shop von Bernd Deckert angebotenen Sonnenzeiger verwendet, sie wurden vorher mit feiner Stahlwolle und Essig gealtert. • Die Vierkant-Fixierscheibe des Stundenzeigers wurde nachgefertigt. • Die weitgehend ausgebrochene Vierkant-Aufnahme des Stundenzeigers wurde abgeschliffen und ein neu angefertigter Vierkant aus Messing aufgelötet. • Die kleine Andruckfeder des Windfangs wurde ersetzt. Ein loses Ende des Windfangblechs wurde gelötet. • Die Pendelstange wurde gerichtet. • Das Pendel wurde zwecks stabilerem Lauf beschwert, indem eine gute Handvoll Bleikugeln in die Pendellinse gefüllt wurde. • Der stark verbogene Auslösehebel wurde gerichtet, damit Halbstundenschlag und Repetition wieder gehen. • Die mit Goldbronze angestrichenen Gewichte wurden bis auf die rohe Gussoberfläche abgebürstet. • Das Frontzierblech wurde mit Essig abgebeizt und erst mit einer weichen Messing- und dann mit einer Kleiderbürste poliert. • Das kaputte Gewinde in der Haltestange des Frontzierblechs wurde nachgeschnitten. • Der lose Schlaghammerhebel wurde neu auf seiner Welle befestigt. • Die lockeren Zahnräder auf beiden Seiltrommeln wurde neu befestigt.
Sie läuft perfekt. Und nun mal ehrlich: Ist sie nicht schön? Ich bin total begeistert. Und habe viel gelernt.
Begeisterte Grüße von Thomas|addpics|r40-4-0bdf.jpg,r40-5-8dd2.jpg|/addpics|
05.10.2019 13:08 (zuletzt bearbeitet: 05.10.2019 13:09)
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