An die Unternehmer von Euch:

Kennt Ihr den §133 InsO?

Allgemein geht es bei der InsO um Insolvenzrecht - mit diesem speziellen Paragraphen werden aber genau die betroffen, die eigentlich gar nichts falsch gemacht haben.

Ein Beispiel (fiktiv, doch wie aus dem Leben dem echten Leben gegriffen):

Wir beliefern und bedienen schon seit Jahren (ach: gefühlt seit Jahrzehnten!) einen bestimmten Kunden. Puh, das ist schon ein ordentlicher Klotz von Firma: Knapp über 100 Angestellte, eine kleine Produktion, eigener Fuhrpark, Lieferungen neuerdings auch ins Ausland... Ein richtiges Unternehmen halt, das bestimmt schon 100 Jahre existiert. Man kennt sich, ist gemeinsam durch dick und dünn gegangen, hat in unterschiedlichen Projekten immer wieder bestens zusammen gearbeitet.

Und: Man kennt sich wirklich gut - herrlich!

Auf dem Hof läuft ein alter, gelber Hund rum, taub und fast blind. Muss mal ein Labrador gewesen sein. Jeder kennt ihn. Beim Metzger gibt's 'ne Scheibe Wurst für Fifi und die Fahrer passen auf, dass sie bloß nicht über diesen Köter fahren - er ist Ommas Ein und Alles! Und: Irgendwie schon länger im Betrieb, als die meisten Fahrer selbst. Also: Cave canem! Der Schlag mit dem Regenschirm kommt aus einer anderen Richtung!

Man weiß z.B., dass die Seniorchefin ("die Omma" - gar nicht mal böse gemeint, sie ist irgendwie die Omma von jedem Angestellten, die "Omma" halt...) noch immer für die Überweisung der Rechnungen zuständig ist. Immer schön mit der Schreibmaschine auf den Überweisungsträger, wie sie es seit 50 Jahren tut. Das kann sonst heute keiner mehr - nur die Omma halt. Und sie ist immer hübsch anzusehen: Hochgeschlossendes Kleid, gedeckte Farben, eine Perlenkette... sehr dezent, nobel, freundlich. Auf der Straße wird sie mit allem Respekt gegrüßt. Es ist eine Augenweide, wenn sie in ihrem alten Mercedes durch die Gegend braust... Übrigens: Top gepflegt, der 123!

Jaja, natüüürlich überweist sie immer zwei Wochen später! Oder eben drei. Seltener vier. Dann muss aber schon was mit dem Hund gewesen sein. Oder am 123.

Jaja, natüüürlich zieht sie dann auch immer noch ein paar Euro ab. Das war aber irgendwie schon immer so, die Gute ist vom alten Schlag und das ist halt so ziemlich der letzte Sport, der ihr geblieben ist. Stöckchen holt Fifi schon lange nicht mehr - woher denn auch? Er sieht ja nichts mehr...

Und - noch ein Jaja: Dafür berechnen wir hier und dort mal ein Stündchen mehr, damit für uns intern alles wieder schön ausgeglichen ist.

So ist sie halt, die Omma. Dafür gibt's ein bezauberndes Lächeln, wenn sie bei der nächsten Besprechnung ein Stückchen selbstgemachten Apfelkuchen reicht. Und eine tolle Geschichte obendrauf, wie ihr Oppa damals angefangen hat, das Unternehmen aufzubauen. Damals, nur mit einer Schubkarre und einer Schaufel. Ein Bild von ihm hängt an der Wand, eines von der Omma daneben. Dazwischen eines von ihrem Papa mit dem ersten LKW der Firma. Sie war damals noch ein kleines Kind mit Kleid und blonden Zöpfen... Und der Hund? Ja, sollte das etwa der gleiche Köter sein, wie der, der jetzt auf dem Hof rum läuft?

Im Schnitt kann man überschlagen, dass wir monatlich für +/- 5.000 Euro Arbeit in Rechnung stellen und nebenher für gut 2...3.000 Euro irgendwelche Klamotten liefern. Mal ein Ausreißer nach oben, mal ein Ausreißer nach unten, aber so im Schnitt passt das schon.

Das ist halt so. Wann es angefangen hat, kann keiner mehr sagen. Irgendwann kam mal ein Anruf, ob wir dieses oder jenes liefern könnten. Tja, und dann ging es halt immer so weiter.

Zunächst hat man sich über die verspäteten Zahlungen und die Abzüge geärgert, später hat man dann hier und dort ein Stündchen hinzu geferkelt. Aber: Wenn die Omma mit ihrem Apfelkuchen... und einen Kaffee macht die! Das sag' ich Euch... einen Kaffee! Und der Apfelkuchen erst...

Dann schämt man sich schon fast wieder für das Stündchen, das man bei der letzten Rechnung oben drauf gehauen hat. Und: Wetten, dass die Omma davon weiß?

Natürlich tut sie das! Die Omma ist zwar die Omma, aber deswegen noch lange nicht doof! Immerhin führt sie das Unternehmen stramm seit über 40 Jahren und ihr Opa hat ja alles aufgebaut.

Der Junior wächst erst seit den letzten 15 Jahren in die oberste Etage. Den kennt man noch als verpickelten Schüler, kennt einen Teil seiner Freundinnen. Erst hat er im Lager ausgeholfen, dann den Führerschein gemacht. Dann traf man ihn in der Produktion an, dann durfte er auch LKW fahren. Eine Zeit lang hat man sich aus den Augen verloren: Studium!

Die ersten Verhandlungen verliefen noch ein wenig holprig, doch haben wir ihm in Absprache mit Omma dazu geholfen, ein guter Geschäftsmann zu werden. Hin und wieder trägt er Krawatte, schämt sich aber noch ein wenig vor seinen Kollegen (die ja eigentlich seine Angestellten sind...). Jetzt läuft er rund, hat sogar einen neuen Kunden für das Unternehmen angekarrt: Irgenwo in Afrika oder Asien soll er sitzen, wer kann das schon noch auseinander halten, die Nachrichten überschlagen sich ja...

Und so geht das über Wochen, Monate, Jahre, von Kuchen zu Kuchen, von Auftrag zu Auftrag, von Kaffee zu Kaffee, scheiße, wo kommt denn jetzt plötzlich der Köter her?

Toll! So ein Verhältnis kann ich nur jedem Unternehmer wünschen: ein Kunde mit einer Omma, eine jahrelange, gute Beziehung, gegenseitiges Vertrauen, hier und dort ein Stück Apfelkuchen und hin und wieder von der Omma was hinter die Löffel.

Wie sich das gehört halt. Immerhin ist sie "die Omma" und das Unternehmen ist, objektiv gesehen, tatsächlich ein überregionales Bollwerk.

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Schwupps: Pleite! Der Brief vom Anwalt kam gerade.

Hä? Öööhm, wie jetzt? Pleite? Nä! Echt jetzt?

Ach.

Die arme Omma. Was würde ihr Oppa sagen, der mit der Schubkarre und der Schaufel? Was passiert mit den ganzen Angestellten, was passiert mit dem Bäcker, wo alle Angestellten Brötchen kaufen? Äh: Kauften...

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Schwupps - eine Woche später: Noch ein Brief vom Anwalt:

Bitte zahlen Sie binnen der gesetzten Frist 850.000 Euro auf eines der unten aufgeführten Konten, Beschwerde ist fristgerecht einzulegen bei... bis... Anwaltlicher Gruß und herzlicher Dank, der Insolvenzverwalter Ihres Vertrauens.

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Hä? Warum soll ICH denn jetzt 850.000 Euro zahlen? Es ist doch mein Kunde, der pleite gegangen ist, nicht ich! Ha! - ich hab' da ja sogar noch Rechnungen offen aus den letzten Lieferungen und Leistungen... Augenblick... äääh... Ah! da: knapp 20.000 Euro - und jetzt soll ich 850.000 Euro zahlen?

Hä?

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Und eben hier, an dieser ganz besonderen Stelle, greift halt der §133 InsO durch. Glückwunsch.

Warum?

Das - und eben genau dieses - ist gar nicht so leicht zu begreifen und in Worte zu fassen.

Das Problem ist (wenn es hier überhaupt ein Problem geben kann!) in der Vergangenheit zu finden. Vielleicht im kurzen Dialog mit dem Insolvenzverwalter:

"Tach! Ich wollte wohl gerne die 850.000 abholen."

"Hä? Wieso denn?"

"Jahrelang haben Sie Rechnungskürzungen hingenommen, auch haben Sie jahrelang verspätete Zahlungen akzeptiert. Eigentlich hätten Sie also davon ausgehen müssen, dass das Unternehmen Zahlungsschwierigkeiten hat."

"Wa? Ey, Vorsicht, Kollege: Das ist hier die Omma, von der wir hier reden! Nicht irgendeine Omma, nein, das ist DIE Omma!"

"Jaja, das mag ja richtig sein. Trotzdem hat sie keine einzige Rechnung in voller Höhe in der gesetzten Frist gezahlt. Ist Ihnen da nie was komisch vorgekommen?"

"Nä, nie! Ist doch die Omma!"

"Nun, ausgerechnet das ist aber unser Problem. Und ein weiteres kommt hinzu: Sie wussten davon, dass Rechnungen gekürzt und verspätet gezahlt wurden, (hätten nun auch von Zahlungsschwierigkeiten ausgehen müssen) und haben trotzdem weiter für sie gearbeitet und Lieferungen geleistet. Dadurch ist meinem Mandanten ein Schaden entstanden."

"Hä? Ihr Mandant ist "unsere" Omma! (Na, eigentlich die ganzen Gläubiger drum herum...) Es wurden doch schon Rechnungen gekürzt und zu spät bezahlt - wie groß kann 'der von uns verursachte Schaden' denn noch sein?"

"Tja. Hätten Sie Lieferungen und Leistungen mit der ersten falsch oder zu spät überwiesenen Rechnungen eingestellt, wäre es erst gar nicht so weit gekommen. So müssen wir aber davon ausgehen, dass Sie die Omma (jetzt: Achtung!) gegenüber den anderen Gläubigern bewusst übervorteilt haben!"

"Ja, und jetzt?"

"Und jetzt fordern wir alles zurück, was in den letzten 10 Jahren an Sie gezahlt wurde. Alles!"

"Wie? Und das geht so einfach?"

"Ja: §133 InsO. Hier ist die Aufstellung aller Ihrer Rechnungen, demgegenüber alle Zahlungen an Ihr Unternehmen, zuzüglich Bearbeitungsgebühren und Zinsen. Bitteschön."

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Zusammengefasst:

Egal, wie gut ein Geschäftsverhältnis sein kann, es kann immer was im Busch sein. Das ist halt Fakt.

Wer gekürzte und/oder verspätete Zahlungen akzeptiert (und: wer von uns Unternehmern tut das nicht?) MUSS davon ausgehen, dass Zahlungsschwierigkeiten bestehen.

Wer diese "offensichtlichen" Zahlungsschwierigkeiten ausblendet, kann unter Umständen schwer getroffen werden.

Vor einiger Zeit noch mit der Rückführung aller Zahlungen, die in den letzten 10 Jahren eingegangen sind.

Mittlerweile scheint sich das aber auf die letzten vier Jahre zu beschränken. Das ist aber "relativ" neu - ich bin kein Rechtsanwalt und stecke hier nicht so im Stoff.

Alte Fälle werden nach der alten Regelung abgewickelt, erst neue Fälle "profitieren" von der Neuregelung von vier Jahren rückwirkend.

Das alles ist aber kein Problem: Man wird dann prozentual aus der Insolvenzmasse bedient, der Rechtsweg steht offen.

Glückwunsch.

Hier noch ein sicherlich besser recherchierter Beitrag dazu:

Die Beschreibung der Firma passt, das Verhältnis ebenso.

Das mit der Insolvenz nicht - aber der Apfelkuchen...

Ich liebe solche Firmen in meinem Kundenstamm, sie sind seit Ewigkeiten auf dem Markt und regionale Größen.

Ich weiß aber auch, wie mit Rechnungen umgegangen wird. Das ist von deren Seite her noch nicht einmal böse gemeint: Das ist halt so und das war auch immer schon so.

Und solange Omma lebt, wird das auch so bleiben. Der Zahlungsausgang und der Apfelkuchen.

Witzig ist, wenn man Junior fragt, wann denn die Kohle kommt... "Da musst Du Mama fragen! Kaffee?"

Doof ist das nur mit dem 133er...

Und gefährlich ist er: Oft geht es noch nicht mal um mahnungsfähige Abzüge von Rechnungen, die sich dann im Bereich von 10...20 Euro bewegen (was bei Rechnungen von über 3.000 Euro verschmerzlich und OK ist). Auch, wenn die Rechnungen ein oder zwei Wochen später überwiesen werden, als ich unten auf meine Rechnung geschrieben habe.

Der Witz ist, dass ich anhand dessen eine Zahlungsunfähigkeit hätte erkennen müssen.

Das hat Wefalk sehr gut beschrieben.

Ich könnte mir vorstellen, dass man seinen Kopf aus der Schlinge bekommt, wenn man zeitnah Gutschriften über die Abzüge erstellt.

Andererseits müsste im Rahmen der Gleichbehandlung auch z.B. die Telekom (oder der Leasinggeber für das Firmenfahrzeug) aufgefordert werden, sämtliche Zahlungen zurück zu führen.

Wahrscheinlich ist es sogar möglich, in diesbezügliche Akten Einsicht zu erhalten, bzw. Einsicht in diese Akten einzuklagen.

Bei weiteren Überlegungen fallen dann noch andere Institutionen ein: GEZ, Finanzamt...

Wäre interessant...

Gibt's hier einen Fachanwalt für Insolvenzrecht?

Zitat von wefalck im Beitrag #7

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Eben, das ist genau die Situation. Wenn ich versuchen würde, gerichtlich vorzugehen, würde das objektiv and den Verhältnissen nichts ändern. Wo nichts ist, ist nichts zu holen.

Ich habe den §133 auch so verstanden, daß er verhindern soll, daß Schuldner und Gläubiger zusammen (oder mit dem stillschweigenden Einverständis des Gläubigers) Masse beiseite schaffen, das zum Schaden anderer Gläubiger. Wiederholte Mahnungen an den Schuldner sollten dann ausreichend demonstrieren, daß man versucht hat, an sein Geld zu kommen.

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Zitat von Roland im Beitrag #10

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Zitat von Fritz im Beitrag #8

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Ein Scheiß Gesetz ...

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wenn z.B. ein Herr Schlecker vor der Insolvenz Geld beiseite schafft und du Gläubiger wärst, dann wärst du froh, dass es ein Gesetz gibt, das einen Zugriff auf dieses Geld ermöglicht.

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