Adolph Lange begann die Fertigung von Taschenuhren in Glashütte mit relativ einfachen Uhren, die eine Stiftankerhemmung hatten. Bekanntlich mussten die ehemaligen Lehrlinge nach ihrer Ausbildung erst nach und nach ihre Fertigkeiten erhöhen.
Ein Schritt bei der Weiterentwicklung des Uhrwerks war um 1850, die Stahlstifte im Stiftanker durch Rubine zu ersetzen. Nachdem also ein Mitarbeiter diese Rubine schleifen konnte, war der nächste Schritt zum Anker mit Paletten nicht mehr weit. Deshalb sind Uhren mit Rubinen im Stiftanker nur eine extrem kurze Zeit gefertigt worden und extrem selten.
Wenn dann die Reste eines solchen Exemplars auftauchen, erhebt sich obige Frage.



Allein vom Foto ist das Elend nicht zu erfassen. Deshalb eine Aufzählung.

Der Anker, welcher noch eingebaut war, hatte zwei wesentliche Defekte. Eine der beiden Rubinpaletten des Stiftankers war abgebrochen und die Ankergabel wurde schon einmal weich gelötet. Auch fehlt an dieser auf einer Seite das Sicherheitselement.



Am Ankerrad fehlt ein Zapfen und an der Unruhwelle fehlen beide Zapfen. Die beigelegten Spiralen sind unpassend, der Rücker ist nicht original, die Steinlager der Unruhe sind defekt sowie einige andere Steine ebenfalls.




Die Schraube des unteren Deckplättchens steckt abgebrochen in der
Platine und der Deckstein fehlt. Die Zugfeder ist zu schmal und die Stellung unvollständig.

Natürlich ein Sack voll Arbeit, aber in diesem Zustand wohl irgendwann unwiederbringlich verloren.

Hallo Fritz,

Du bekommst das bestimmt hin. Oder was war die Frage?

Bei so einem seltenen Werk m.E. auch lohnend, selbst wenns nur ein Werk ist. Was ist mit dem Rest der Uhr?

Beste Grüße, Bernhard

Die Frage ist natürlich nicht, ob es machbar ist, es ist fast alles machbar. Eher die Frage nach dem Aufwand. Lohnend im Sinne von materiell ganz sicher nicht. Doch diese Frage stelle ich mir in diesem Fall ohnehin nicht.
Es ist ja nur noch der Rest des Uhrwerks als Originalsubstanz vorhanden. Es muss relativ viel hinzugefügt werden um daraus wieder eine Uhr zu machen. Natürlich mit einer entsprechenden Dokumentation der ausgeführten Arbeiten. Verliert das Werk dabei seine historische Wertigkeit.
Dabei natürlich das Uhrwerk nicht modernisieren, wozu ich z.B. eingepresste Lagersteine rechnen würde. Glücklicherweise habe ich noch einen Bestand Steine zum Fassen. Aber auch alle Arbeiten so nah als möglich am Original ausführen.
Das waren die Fragen, die ich mir letzten Endes gestellt hatte.
Nun zu den Antworten:

Zuerst wurden alle defekten Lagersteine ersetzt und danach der Ankerradzapfen. D.h. es wurde in der Drehbank eine Bohrung mittels Vidiabohrer eingebracht. Danach ein Stück blauharten Tamponstahl auf den Durchmesser der Bohrung gedreht und eingepresst. Anschließend wurde der Zapfen
mit 2/100 mm Aufmass gedreht. Im Pivofix erhielt der Zapfen dann sein endgültiges Maß.



Hier wird nun der einwandfreie Lauf des Ankerrades im Zusammenspiel mit dem Sekundenrad überprüft. Nachdem das Ankerrad intakt war konnte die Anfertigung der Rubinpalette für den Stiftanker in Angriff genommen werden.
Zuerst musste also ein Rubin passender Größe gefunden werden, der durch schleifen und polieren die entsprechende Form erhalten konnte.
Die Größe dieses Rubins beträgt 0,5 mm und er ist 1,2 mm lang. Um ihn bearbeiten zu können muss er auf einem größeren Stück Material befestigt werden. Ein Stück Vierkantmessing 6 x 6 mm eignet sich dafür gut, denn man kann es anschließend in der Drehbank einspannen. Dazu wird
der Stein mittels Schelllack aufgeklebt. Das lässt sich später mit Alkohol wieder lösen.







Nachdem der Rubin mit einer Diamantscheibe vorgeschliffen ist, wurde eine Holzscheibe eingesetzt die mit feinster Diamant Polierpaste bestrichen ist.



Nachdem Form und Oberflächenqualität zufriedenstellend waren, konnte der Rubin gelöst und gereinigt werden. Nun wurde der Rubin in den Anker eingesetzt. Zuvor war natürlich der abgebrochene Rest entfernt und die Aufnahmebohrung gereinigt worden.



Hier wurden nun Ankerrad und Anker provisorisch eingesetzt und mit etwas Rodico fixiert um die Rubinpalette entsprechend den Zähnen des Ankerrades auszurichten. Die Palette wurde danach im Anker provisorisch fixiert um dann die Funktion im eingebauten Zustand überprüfen zu
können. Die ersetzte Palette befindet sich jedoch auf der Eingangsseite des Ankers und folglich unter dem Kloben. Deshalb kann die Funktion nur durch die kleine Bohrung im Kloben beurteilt werden. Aber auch die Ausgangsseite gibt Hinweise auf die richtige Funktion.





Die Funktionsweise des Ankers konnte bisher nur durch Auslenkung von Hand überprüft werden. Als Nächstes war es also nötig, die Unruhwelle zu drehen. Die Glashütter Unruhwellen haben keine der sonst üblichen Ansätze sondern sind in ihrer ganzen Länge leicht konisch. Damit ergibt sich die Schwierigkeit, den Konus so zu drehen, dass der Reif und die Hebescheibe genau in der richtigen Höhe ihren Presssitz erhalten.
Die Zapfen der Unruhwelle werden wieder mit ca. 2/100 mm Aufmass und in Trompetenform gedreht. Den letzten Schliff erhalten diese dann wieder im Pivofix.



Doch noch fehlte der Unruhe die Spirale. Diese muss auf die Größe des Unruhreifes und seine Masse richtig auswählt werden. Hierzu steckt man die Spirale probehalber auf die Unruh und fast sie kurz vor dem Ende mit der Pinzette. Diese Stelle sollte in etwa der entsprechen, wo später sich die Rückerstifte befinden. Durch leichtes auf und ab bewegen der Pinzette über einer Glasplatte beginnt die Unruh zu schwingen. Diese Schwingungen zählt man über eine definierte Zeit und kann daraus dann die Schwingungszahl pro Stunde errechnen. Diesen Vorgang nennt man Spirale abzählen.
Wenn weder Stärke noch Höhe der notwendigen Spirale bekannt sind, so braucht es mitunter eine ganze Reihe solcher Abzählversuche, bevor man eine annähernd richtige Spirale gefunden hat.
Im vorliegenden Fall waren innere und äußere Befestigung erst noch herzustellen. Ebenso die äußere Aufbiegung der Spirale. Nachdem sie dann noch zentrisch zum Unruhlager gebogen war, konnte sie aufgesetzt werden.
Das sogenannte Schwingfest, der Zeitpunkt wo die Unruhe das erste Mal (wieder) schwingt, konnte gefeiert werden.



Doch so ganz zufrieden war ich noch nicht. Es wäre doch besser für das Uhrwerk, wenn es wieder ein Gehäuse hätte. Also wurde der Fundus
sämtlicher alten Gehäuse nach etwas passendem abgesucht.

Hier nun das Ergebnis.



War es das wert ??? Ich meine ja.

Tolle Arbeit !!!!
Danke für deinen Bericht

Einfach nur geil!



Hat man eine Vorstellung wie viele dieses Werkstyps produziert wurden?

Es gibt leider keine Aufzeichnungen über die Stückzahl dieser Werksausführung.
Eine ungefähre Vorstellung ergibt sich aus den Seriennummern der aktuell bekannten 5 Exemplare.
Das von mir vorgestellte Werk mit der Nummer 1074 ist das bislang früheste. Alle 5 Exemplare liegen in dem Bereich der folgenden 150 Seriennummern. Da aber über diesem gesamten Nummernbereich verteilt außerdem noch 10 Uhren bekannt sind, die schon keinen Stiftankergang mehr haben, ist von einer extrem geringen Anzahl auszugehen.

Vielen Dank fürs mitnehmen zu dieser Restaurationsarbeit mit einigen Feinheiten in der Uhrmacherei.
Klar, hat es sich gelohnt Kulturgut zu erhalten!

Danke Fritz! Durch solche Beiträge wie Deine steigt meine Begeisterung für diese Materie immer weiter!

Hallo Fritz,
Gehäuse passt doch, prima Bericht.
Gruß

Bewundernswert!

Tolle Uhr - Danke fürs Mitbehmen

Großartig!

Tolle Vorstellung! Danke für die Dokumentation.