Habe gerade hier eine Uhr mit einer Riesen-Unruhwelle hier. Eine der ersten Uhren, die einen direkten Unruhantrieb haben. Der Unruhantrieb funktioniert so ähnlich wie bei einer ATO-Uhr, wie z. B. Junghans sie gebaut hat. Aber natürlich noch ohne Transistor. Die Unruhwelle ist 14cm lang. Jawohl, 140mm! Und zwar lang und dünn. Für eine Präzisionsuhr spricht das nicht, aber sie ist eine richtige Augenweide, mit einem Vier-Glas-Gehäuse, und daher von allen Seiten zu beobachten. Da die Reparatur nicht meine ist, zeige ich hier mal meine Uhr. Der Unterschied liegt nur im Gehäuse. Meine hat einen Marmorfuß, die zu reparierende hat dort Messing.
BILD01.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)
Der Hersteller ist Frank Holden, Patent GB 156408 von 1919.
Die Uhr ist sehr kaputt, es fehlt zum Beispiel die Spule und muss nachgefertigt werden. Und noch andere "Kleinigkeiten". So ist eine Schraube abgerissen. Nett nur, dass das kein metrisches Gewinde ist... Gut, dass ich noch ein "Ersatzwerk" habe, aber das ist noch unvollständiger. Dort hat jemand die Unruhwelle abgesägt...
Ein Bild des eigentlichen Uhrwerks. Das Räderwerk ist oben und wird auch noch gereinigt und gezeigt.
P1010562.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)
Hier noch zwei Bilder der Unruh. Wie es weiter geht, zeigt sich in den nächsten Tagen.
P1010563.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)
P1010564.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)
In die große Bohrung muss eine neu angefertigte Spule eingesetzt werden. Wie man jetzt schon sieht, steht noch einiges an Arbeit an.
Frank

Interessante Uhr, freue mich auf weitere Berichte dazu.

Zunächst einmal: Wie funktioniert die Sache denn, wenn sie funktioniert? Die Spule ist eine Luftspule, aber wo ist der dazugehörige Permanentmagnet?
Der befindet sich in den zwei unteren Werkplatten. Diese sehen schön vernickelt aus, wenn sie sauber sind wie jetzt, ebenso wie die 4 Pfeiler, welche die beiden Platten zusammenhalten. Aber geschickt verborgen ist, dass die zwei vorderen Pfeiler aus Messing sind, während die zwei hinteren aus Weicheisen bestehen. Und die Platten sind nicht einfach nur aus Eisen oder vernickeltem Messing, sondern sie sind Stabmagnete. So ergibt sich ein Hufeisenmagnet, und die intensivsten Magnetlinien befindet sich genau zwischen den beiden Klötzen, durch welche die Luftspule der Unruh gehen muss. Ein Bild soll das genauer zeigen:

P1010588-1.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Der Magnet zum Antrieb der Unruh ist also gut getarnt und lange nicht so gut zu sehen, wie bei den späteren Unruhschwingern.

Frank

Es ist ja irre, was Leute sich so einfallen lassen.

So sehr abgefahren finde ich die Konstruktion gar nicht. Schaut mal auf die PUW 1001.
https://www.uhrwerksarchiv.de/movements/p/puw/puw-1001/
Das gleiche Prinzip. Fester Magnet, bewegliche Spule, Kontakt. Nur 50 Jahre später und etwas (!) kleiner.
Die nächste Aktion: Spule wickeln und einbauen. Die Spule hat keine äußere Begrenzung, nur innen einen kleinen Kern aus Pertinax. Das ist auch im Original so, denn die Maße dafür habe ich von einem Uhrenfreund, der so nett war, seine originale Spule auszumessen. Der Drahtdurchmesser wurde allerdings berechnet, sodass der Widerstand der Spule ca. 115 Ohm beträgt. Weil ich so eine Reparatur schon einmal gemacht habe, habe ich auch das entsprechende Werkzeug:
P1010589.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)
Das weiße ist eine Randbegrenzung und Halterung aus Teflon mit einem Gewinde M4 in der Mitte. Der schwarze Ring ist der Kern, der auch in der Spule bleibt. Der durchsichtige Kunststoff besteht aus Plexiglas mit einem kleinen Loch für das Herausführen des inneren Spulenanschlusses.
P1010590.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)
Spulenwickelei. In den Spalt wird in Alkohol gelöster Schelllack eingeträufelt, dann die Spule gewickelt. So bleibt sie stabil. Anschließend kann die Spule aus der Halterung herausgeholt werden, ohne am Teflon zu kleben.
P1010593.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)
Was hier so grobschlächtig aussieht: Der Draht hat 0,063mm Durchmesser. Ungefähr 460 Windungen. Der Außendurchmesser passt genau in die Lücke der Unruh.
P1010599.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)
Viel aufwändiger als das eigentliche Spulenwickeln ist die Montage. Die Spule wird mit Schelllack in den Ausschnitt geklebt, der äußere Spulendraht angelötet. Der innere Anschluss wird an einen stabileren Draht angelötet und zum Kontakt geführt, der von der Unruh elektrisch isoliert ist. Dazu später mehr.
P1010602.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)
Frank

Wow, tolle Arbeit!
Vielen Dank für diese schöne Beschreibung ich habe mich schon gefragt wie man so eine Spule nachfertigen kann.

LG Christian

P.S.: Ich hoffe mir kommt so eine Uhr auch mal unter. ;-)

Es geht also weiter: Bei so einer Uhr muss man sich Zeit nehmen. Wenn man anfängt, ungeduldig zu werden, ist es besser, alles bis zum nächsten Tag zu unterbrechen.

Der Stromkreis in der Uhr sieht folgendermaßen aus:

P1010610.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)

Der obere Teil ist mit dem positiven Anschluss der Batterie (3 Volt) verbunden. Man kann erkennen, dass die Brücke vom Rest der Konstruktion elektrisch isoliert ist. Hier wird die Spirale befestigt. Die Unruh ist also über die Spirale mit dem Pluspol verbunden. Damit es keinen Kurzschluss zur Masse gibt, ist sowohl das untere als auch das obere Unruhlager elektrisch isoliert. Das untere Lager ist ein Steinlager, welches in Kunststoff oder Elfenbein gefasst ist. Es ist in der Höhe einstellbar, damit die Spule genau durch die Magnetpole laufen kann. Vom Unruhkörper geht der Strom durch die Spule zu einem isolierten Kontakt.

P1010617.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)

Der Kontakt berührt zweimal bei einer Schwingung den Kontakt im Werkgestell. Dieser Kontakt ist nach oben hin durch ein Steinkörnerlager isoliert, also durch die Spirale nur mit dem Minuspol des Werkgestells leitend verbunden.

P1010608.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)

Durch die Blattfeder wird die Position des Kontaktes festgelegt, damit bei jeder Schwingung an der gleichen Stelle eine Berührung stattfinden kann.

Jetzt könnte man meinen: Die erste Berührung gibt den Antrieb, bei der 2. Berührung findet aber eine Bremsung der Unruh statt. Aber die Berührung ist asymmetrisch eingestellt. Der Lappen mit der Silberschicht zeigt nicht genau auf die Unruhwelle.

Kontakt 1.png - Bild entfernt (keine Rechte)

Beim Kontakt zum Antrieb findet der Kontaktschluss statt, wenn die Spule relativ nahe am Magnetpol ist und öffnet kurz vor der Mitte des Magnetpols. Der Antrieb ist kräftig.

Kontakt_2.png - Bild entfernt (keine Rechte)

Bei der Gegenschwingung findet nur ein sehr kurzer Kontakt statt, und der erst, wenn die Spule weit vom Magnetpol weg ist. Die Störung mag vorhanden sein, sie ist aber sehr klein. So bekommt die Unruh einen sehr kräftigen Anschub und macht eine ganze Schwingung in einer halben Sekunde. Es ist also sehr viel Dynamik in diesem System, viel mehr als bei den Eureka-Uhren mit ihren großen Unruhen.

Die Uhr ist sehr umständlich zusammenzusetzen. In diesem Fall kommt noch die Besonderheit dazu, dass das untere Lager in der Platine festsitzt und nicht einstellbar ist. Da es aus Kunststoff oder Bein ist, kann man auch nicht mit Kraft oder Gewalt versuchen, das Lager einzustellen. Das Lager ist noch in Ordnung, also muss es in seiner Höhe bleiben. Daher muss die Spule zwischen die Magnete gesetzt werden, während die obere Platte demontiert ist. Dann wird die Welle mit dem Kontakt durchgeschoben und die Spule in der richtigen Höhe und Richtung zum Kontakt festgeschraubt. Dann erst kann die obere Brücke mit ihren Isolatoren montiert werden. Und erst, wenn auch das Räderwerk komplett fertig ist, hat die Unruhwelle ihre obere Führung.
Der Unruhantrieb sieht im Moment so aus.

P1010623.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)

Demnächst geht es mit dem Räderwerk weiter (und dem oberen Unruhlager)

Frank

Das Räderwerk ist auch eine Sache für sich. Hier arbeitet ohne weiteres Messing auf Messing. Eine mechanische Uhr würde so nie funktionieren, sie könnte noch so billig sein. Aber hier wird nur ein Räderwerk kraftlos weiter geschaltet, und so ist diese Sache durchaus dauerhaft. Die Räder bestehen aus einem Stift aus blauhartem Stahl. Auf diesem Stift sind die Messing-(!)-triebe aufgeschraubt, ebenso wie die Räder. Jeweils durch eine seitliche Schraube auf dem Stahlstift festgeklemmt. Kann man auf den Bild recht deutlich erkennen.

P1010633.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)

Wie man gut erkennen kann, ist das riesige und fein verzahnte Sekundenrad ohne hintere Lagerung. Es ist also fliegend gelagert. Es ist gleichzeitig Klinkenrad.

P1010630.JPG - Bild entfernt (keine Rechte)

Damit es im Laufe der Zeit nicht nach hinten heraus wandert, muss es von vorne gehalten werden. Das Futter des Sekundenrades hat also ein Gewinde (!), M1, und hält das Sekundenrad in Position. Wer unbedarft versucht, den Sekundenzeiger abzuziehen, zerstört die Uhr. Diese hier hatte keinen Sekundenzeiger mehr, auch das Futter fehlte. Mittlerweile existiert das Futter, damit man die Funktion testen kann. Der Sekundenzeiger muss noch gebaut werden. Das Bild zeigt das vordere Ende des Sekundenzapfens mit seinem Gewinde. Hier noch ohne Futter.

P1010554.jpg - Bild entfernt (keine Rechte)

Frank

Spannende Konstruktion... wäre echt super, wenn du ein Video machst, wenn du die Uhr fertig gebaut hast. 👍

Hallo Frank,
Danke fürs Zeigen.